Auf Berlin kommt eine neue Gedenkstätten-Diskussion zu. Nach
dem Beschluss des Bundestages, ein Holocaust-Mahnmal zu bauen, und
den jüngsten Forderungen nach einem Mahnmal für die im Nationalsozialismus
ermordeten Sinti und Roma gibt es jetzt eine Initiative für eine
Stätte des Gedenkens an die Euthanasie-Opfer. Der Bundesverband
der Psychiatrie-Erfahrenen setzt sich für den Bau eines "Hauses
des Eigensinns / Museums der Wahnsinnigen Schönheit" am historischen
Ort in der Tiergartenstraße 4 in Berlin ein.
"Die Euthanasie war der Beginn der nazispezifischen Vernichtungsstrategie,
die Blaupause für die ,Endlösung'", begründet René
Talbot, Sprecher des Bundesverbandes, die Initiative. Im "Haus des
Eigensinns" sollen die Euthanasie-Verbrechen dokumentiert und eine
Sammlung von Kunstwerken psychisch kranker Künstler - die "Prinzhorn-Sammlung"
- ausgestellt werden.
Die Museumspläne sind in Berlin schon jetzt umstritten: Während
sich ein "Freundeskreis" mit prominenten Mitgliedern wie Rhetorik-Professor
Walter Jens und der ehemalige Präsident der Berliner Ärztekammer,
Ellis Huber, vehement dafür ausspricht, reagieren die Senatskanzlei
und Teile der CDU noch abwartend. Uwe Lehmann-Brauns, kulturpolitischer
Sprecher der CDU, warnt allgemein vor einem "Wald der Mahnmale"
und hält eine "Konzentration auf authentische Orte" für
eindrücklicher. "In guter Obhut" könne das Gedenken an
die Euthanasie-Verbrechen in der "Topographie des Terrors" sein.
Aus der Senatskanzlei verlautet, man sei über den Vorstoß
für eine Gedenkstätte zwar unterrichtet, wolle sich aber
noch genauer damit befassen, um zu einer sachgerechten Bewertung
zu kommen.
Nach der Adresse der einst in einer Villa in der Tiergartenstraße
4 gelegenen Zentraldienststelle, die für die Organisation der
Verbrechen zuständig war, begann 1939 die "Aktion T 4". Bis
1945 wurden fast 200 000 Psychiatriepatienten, geistig Behinderte
und kranke Häftlinge ermordet. Das Gebäude wurde im Krieg
zerstört. Bislang erinnert lediglich eine in den Gehweg eingelassene
Bronzeplatte an die hier geplanten Verbrechen. Auf dem Gelände
an der Philharmonie (Tiergartenstraße/Ecke Herbert-von-Karajan-Straße)
soll nach Plänen des Bundesverbandes der Psychiatrie-Erfahrenen
ein kreisrundes Museumsgebäude als "Bannkreis-Kranz" um die
imaginäre Villa der "Aktion T4" mit rund 1000 Quadratmeter
Nutzfläche entstehen. Zur Finanzierung gebe es ein Stiftungskapital
von 1,7 Millionen Mark, eine ebenso hohe Summe solle von der Bundesregierung
kommen. Bei Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing habe der Freundeskreis
die "Freigabe des Museumsgrundstückes" erbeten, sagt Talbot,
der auch Sprecher des Freundeskreises ist. Zu den prominenten Befürwortern
des "Hauses des Eigensinns" mit Euthanasie-Gedenkstätte und
einer Ausstellung von Kunstwerken psychisch Kranker gehört
auch der Rhetorik-Professor Walter Jens, ehemaliger Präsident
der Berliner Akademie der Künste. "Das Projekt ist außerordentlich
wichtig", sagte Jens jetzt gegenüber dem Tagesspiegel. "Wir
sind es denjenigen schuldig, die das große Leiden mit großer
Kreativität verbunden haben." Die Erinnerung an die Ermordung
Geisteskranker im Nationalsozialismus sei auch heute, "in gut demokratischen
Zeiten noch relevant". Psychisch Kranke würden diskriminiert,
sie könnten den ihnen zustehenden Platz in der Gesellschaft
nicht einnehmen. In der Berliner Politik gibt es ebenfalls gewichtige
Stimmen für eine "Euthanasie"-Gedenkstätte. Walter Momper
(SPD) hat sich gegenüber dieser Zeitung für die Initiative
ausgesprochen: "Ich bin dafür, und das gilt für jede Opfergruppe."
In Berlin müsse der Opfer der Euthanasie angemessen gedacht
werden, die Gedenkplatte allein könne dies nicht erfüllen.
Die "Sammlung Prinzhorn", die im "Museum der Wahnsinnigen Schönheit"
gezeigt werden soll, ist nach dem Heidelberger Psychiater Hans Prinzhorn
benannt. Er trug die 5000 Bilder zwischen 1919 und 1921 zusammen.
Bis heute wird die Sammlung in der Universität Heidelberg verwahrt,
aber die Initiatoren der Berliner Gedenkstätte beanspruchen
sie für ihr Projekt. Der Bundesverband der Psychiatrie-Erfahrenen
wirft Prinzhorn vor, die Werke "böswillig", das heißt
ohne Einverständnis der Künstler oder ihrer Vormünder,
erworben zu haben. Außerdem sei die Psychiatrie der Universität
Heidelberg maßgeblich an der Euthanasie-"Forschung" beteiligt
gewesen. Die Universität lehnt es aber ab, ihre Sammlung herauszugeben.
Sie will der Sammlung nun ebenfalls eine Dauerausstellung einrichten.
Zum künstlerischen Wert der Sammlung sagt Ellis Huber: "Die
Prinzhorn-Sammlung ist der Inbegriff des kulturellen Potentials
von Menschen, die auffallen." Die Sammlung in Berlin, am Ort der
"Aktion T 4" zu zeigen, hieße, "das kulturelle Ausmaß
des Verbrechens" zu dokumentieren.
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