Museum der Wahnsinnigen Schönheit
Dipl.Ing. Annette K. Lorenz Leserbrief: Berlin den 17.02.00 Sehr geehrte Damen und Herren, Es befremdet mich, einen Artikel in ihrer Zeitung zu finden, der unsauber recherchiert ist, sich unkorrekter Begriffe bedient und auf subtile Verunglimpfungen zurückgreift. 1.) Nach dem international gebräuchlichen ICD-10 ( Internationale Klassifikation psychischer Störungen ) der Weltgesundheitsorganisation in der Auflage von 1999 gibt es weder die Begrifflichkeit"geisteskrank" noch diejenige des"pathologischen". Selbst der Begriff der psychischen oder psychiatrischen Krankheit" ist nicht mehr gebräuchlich, denn auch die allerneuesten Forschungsergebnisse lassen ( noch ) nicht den Schluß zu, daß es sich um eine Erkrankung handelt. Es gibt Mengen an Theorien im Bereich der Psychiatrie; doch nur wenigen außerhalb der Fachschaft ist bekannt (und dort wird es gerne vergessen"), daß es sich AUSSCHLIEßLICH um Theorien handelt. Herr Beaucamp möge sich doch bitte des etwas großzügigeren Gebrauchs der Anführungsstriche befleißigen. Oder werden wir auch bald wieder Begriffe wie "Nigger" etc. in ihrer Zeitung ohne diese Strichlein sehen? 2.) Zu der Zitierung des Berliner Anwalts Prof. Dr.Peter Raue, einem Spezialisten des Urheberrechtes- bei ihm gilt die psychiatrische Heidelberger Uniklinik eben nicht als Eigentümerin. Das Zitat wurde aus dem Zusammenhang gerissen, denn der Beginn des Satzes lautet "im Ergebnis bleibt festzuhalten: Soweit die Maler nicht entmündigt waren, ist die gesetzliche Vermutung
des Eigentums des Trägers der psychiatrischen Universitätsklinik
Heidelberg kaum widerlegbar. Das Land Baden-Württemberg oder die
Universität Heidelberg gilt als Eigentümer dieser Bilder. Zwar ist die Klinik Besitzerin der hier fraglichen Bilder, aber
eben nicht Eigentümerin. Vielleicht legt Herr Beaucamp keinen
Wert auf solche verbale Spitzfindigkeit, unsere deutsche Rechtsprechung
sieht aber genau darin einen erheblichen Unterschied. 3.) Da es nur einen Bundesverband der Psychiatrie-Erfahrenen" ( BPE ) gibt, wird es wohl korrekterweise des Bundesverbandes heißen müssen und nicht eines Bundesverbandes. Wie dann allerdings der BPE die wundersame Verwandlung zu einem "Berliner Patientenverbandes" in dem Artikel schafft, kann wahrscheinlich nicht einmal der Autor selbst erklären. 4.) Prof. Carl Schneider war mitnichten ein "Schreibtischmörder"; er hat sich aktiv und maßgeblich an den Experimenten beteiligt. Er war praktizierender "Forscher" und Lehrender in der Klinik. 5.) Der Autor verschweigt, was vielleicht auch dem einen oder
anderen (Psychiatrielaien) Leser ein unbehagliches Gefühl vermitteln
würde: Aber die Psychiatrie war schon immer ein totgeschwiegenes Thema. Warum sollte der Autor sich nun ausgerechnet differenzierter informieren und äußern zumal die biologistische Psychiatrie durch die Gentechnik gerade wieder Morgenluft wittert Herr Beaucamp nimmt wohl nur mit dem richtigen Gespür vorweg, wohin der Trend geht. 6.) "Absurd ist es, wenn sich die Nachkommen der Täter (und der Opfer) gegenseitig beschuldigen. Beide sind gleichermaßen zu Aufklärung und Wiedergutmachung verpflichtet." Die Nachkommen der Opfer sind zu Aufklärung und möglicher Wiedergutmachung verpflichtet? Herr Beaucamp erschließt damit eine völlig neue Sichtweise. Ich denke, selbst der Zentralrat der Juden in Deutschland dürfte dadurch noch zu verblüffen sein. 7.) Die Bilder wurden nicht systematisch konserviert. Möglich,
daß sie zumindest katalogisiert und vor dem gröbsten Verfall
gerettet wurden. Von einer systematischen und fachgerechten Konservierung
kann jedoch Oberhaupt nicht die Rede sein. In Berlin würde dies die
Stiftung "Preußischer Kulturbesitz" übernehmen, welche
in solchen Fragen recht versiert sein soll.... 8.) "Bewahrt ist hier eine urtümliche, unverstellte, zum Teil explosive Kreativität, die heute angesichts besserer Behandlungsmethoden in dieser Weise nicht mehr zum Durchbruch kommt." Ein"historisches Erbe..... daß mit der Höhle von Lascaux verglichen werden kann." a) sie kommt zum "Durchbruch", denn es gibt Menschen, weiche auf die"besseren" Behandlungsmethoden dankend verzichten- und auch noch malen. b) sie würde noch öfter zum "Durchbruch" kommen, wenn man in der deutschen Psychiatrie von der Zwangsmedikation ( manchmal auch höflich mit Bedarfsmedikation umschrieben) Abstand nehmen würde ( Körperverletzung ) c) die besseren Behandlungsmethoden bestehen aus einem Revival der Elektroschocks
und einem Zubomben mit Haldol etc. bei "akuten Fällen";
der Autor sollte vielleicht eine der ,verbesserten' Behandlungsmethoden
ausprobieren- nur warum sollte er mutiger sein als die Mehrzahl der Psychiater,
Neurologen und Psychologen? Die Medikamente haben schwere Nebenwirkungen
und Spätschäden zur Folge, von der Verarmung des intellektuellen
und emotionalen Erlebens ganz zu schweigen. Zwar weisen neueste Generationen
von Neuroleptika diese Begleiterscheinungen nicht mehr in diesem Maße
auf- d) die Prinzhorn- Sammlung kann also mit der Höhle von Lascaux verglichen werden - der "Schizophrene" als das letzte heute noch lebende Exemplar des Steinzeitmenschen, ausgestattet mit dessen urtümlicher, unverstellter Kreativität ? Dies ist nur eine Auflistung der gröbsten Schnitzer des Herrn Beaucamp. Möglicherweise würde auch eine Recherche bei den heutigen regelmäßigen Nutzern der Psychiatrie, und zwar sowohl bei den Freiwilligen als auch bei den Zwangseingewiesenen und Zwangsfixierten , dazu verhelfen, seinen leicht verengten Horizont zu erweitern. Für seine Artikel wäre das sicher eine Bereicherung. Ferner dürfte wohl kein Zweifel daran bestehen, daß diese Ausstellung in Berlin, in direkter Umgebung von Philharmonie, Neuer Nationalgalerie, Kunstbibliothek ( kurz: Kulturforum ) und 150 m vom Potsdarner Platz entfernt, einen starken Zulauf hätte und damit seiner Funktion als Gedenkstätte besser dient als in einer Psychiatrie in Heidelberg, wo sich, außer der Fachschaft und den Patienten, sowieso keiner hineinwagt. Auch stellt sich Herr Beaucamp nicht die Frage, warum die Uni-Klinik Heidelberg es im Verlauf von 55 Jahren nicht geschafft hat, das Museum zu errichten ( im übrigen wollten sie es tatsächlich in besagtem Hörsaal unterbringen ), obschon seit 1920 geplant? Und dabei frage ich noch freundlich, rechne also erst ab 1945. Herr Beaucamp irrt auch, wenn er glaubt er könnte Psychiatrie- Klienten
diskreditieren, weil diese b) und garantiert nicht FAZ lesen Ja, sehr schade, Herr Beaucamp hat nicht zu einer ausgewogenen Meinungsbildung
beigetragen, somit also auch ihre Zeitung nicht. Ich bin eine gebildete Frau, höflich und charmant; daher erfolgt
meine Einschätzung auf hohem geistigen Niveau: Mit unerfreutem Gruß Annette K. Lorenz |