Museum der Wahnsinnigen Schönheit




im folgenden alles Zitate aus dem Buch:
"Der Arzt als Künstler -
Ästhetik und Psychotherapie bei Hans Prinzhorn (1886 - 1933)"

von Dr. Thomas Röske

zum Beleg der Aussage:

Hans Prinzhorn -
ein Nazi-Ideologe und Antisemitischer Rassist

(rote Hervorhebung von uns)

Ein Buch des Aisthesis Verlag
Bielefeld 1995


Kapitel: Gesellschaftstheorie und Politik

1. Kulturkritik

"Aller städtische Fortschritt" werde "erkauft mit Einengung und Entwurzelung der Einzelnen, Verlust an Weltsicherheit, Geborgenheit, an personhafter Mächtigkeit; die Errungenschaften städtischer Entfaltung" leisteten, "biozentrisch gesehen, nur Ersatz für verlorene erdhafte Bindungen".

Obgleich der Autor mehrfach davor warnt - im Sinne der begrenzten Nachentwicklungsmöglichkeiten des psychopathischen Individuums -, die "kulturelle Bedeutung der Psychotherapie [...] bis ins Utopische" zu überschätzen36, deutet er doch immer wieder das "Idealbild" eines Übermenschen Arztes an, der imstande sein solle, "der ganzen Gesellschaft ein Wohltäter zu werden.37

Hoffnungsträger für eine gesündere Zukunft ist in der Kulturanalyse Prinzhorns aber schon von früh an die "schöpferische Kraft der aufkommenden jungen Generationen".
38 Von ihr erwartet er eine "Regeneration"39 in Form von neuerlicher Bemühung um Normen40 - womit er zugleich das "metaphysische Bedürfnis nach einer Einigung mit dem Weitganzen"41 und die Suche nach "Geborgenheit bei einem verstehenden überlegenen Führermenschen'42 umschreibt.


2. Gemeinschaft und Führertum

Prinzhorn hat sich neben seiner Kulturkritik immer wieder an Beiträgen zu einer grundlegenden Psychologie der Gemeinschaft - die er (gemäß der von Ferdinand Tönnies entwickelten Konzeption) im Gegensatz zur Gesellschaft verstanden wissen will
60 - versucht. Das Wesentliche liefert er in den Aufsätzen "Geltungsbedürfnis - Geltungspflicht. Eine Studie zur Gemeinschaftsbildung" (1924, wiederabgedruckt 1927), "Der Einzelne und die Gemeinschaft im Lichte der neuen Persönlichkeits-Psychologie" (1928), sowie "Gemeinschaft und Führertum. Ansatz zu einer biozentrischen Gemeinschaftstheorie" (1932) - wobei er allerdings erst in letzterem, weniger vorsichtig als in dessen Untertitel, von einer "vollständigen Theorie der Gemeinschaft" spricht.61 Prinzhorn geht - wobei er sich zuweilen auf Jacob von Uexküll beruft62 - aus von dem Bereich einschränkungsloser Wirkung eines "Prinzips der lebensgerechten Einordnung!'63: der "biologischen Geborgenheit" und "Weltsicherheit" im "untermenschlichen Lebensraum".


Mit zunehmender Bedeutung der nur-menschlichen Eigenheiten trete allerdings auch die Möglichkeit radikaler Absonderung des - nun vor allem geistig überlegenen - Einzelnen von den anderen auf den Plan.
Wende sich ein solcher zurück an die Gemeinschaft, werde er, sofern er "über schöpferische Gaben verfügt"
68, zum "Urbild des Führermenschen". Das "Schicksal" dieses "prometheischen Führers" sei es, "innerhalb seiner Gruppe auf Grund neuer Erkenntnisse und Ziele die Gemeinschaft zu zersprangen und den Keim zu einer neuen Gemeinschaftsform zu legen". 69

In der "Psychotherapie" noch hatte er die "faschistische Form" einer "Ethik der mächtigen Masse" der negativ bewerteten "amerikanischen" und der "bolschewistischen" gleichgestellt.118 Nun aber handelt es sich nicht um Programme, sondern um ein beobachtetes Phänomen, das zudem - so scheint es dem Hoffnungsvollen - in der Hauptsache von der Jugend getragen wird. Allein diese Feststellung reicht Prinzhorn schon für seine Zustimmung aus (noch ein anderer 'Unpolitischer' verfällt damals diesem Irrtum: Stefan Zweig119); ja, er ist sogar überzeugt, "daß es zunächst und vorläufig bei der Massenbegeisterung zum Führer hin wirklich auf die Intensität, die Rückhaltlosigkeit der Wallung ankommt, den echten Hingebungsdrang junger Menschen, die Sinn und Erfüllung ihres Lebens unter dem Druck unerträglicher öffentlicher Zustände darin sehen, sich für einen Wert, eine Sache, etwas Überpersönliches einzusetzen und sich zu opfern, wenn es sein muß".

Entsprechend qualifiziert für Prinzhorn mehr die Art zu handeln Adolf Hitler zum Führer, denn das von ihm in Wort und Schrift Propagierte, zumal auf Programme nie viel zu geben sei.125 Nicht ohne Faszination schildert der Psychotherapeut Gesicht und Auftreten des Parteiführers, den er 1931 ebenfalls zu beobachten Gelegenheit gehabt hatte: im Gesicht "die Spannung des raschen Kombinierens von Tatsachen, die an festes Anordnen gewöhnte Gebärde des Taktikers, die nur von einer leicht 'nervösen' Hastigkeit gefährdet sein dürfte. Das Zusammenspiel mit den Genossen ist frei, beschwingt, gut eingespielt, von ungezwungener, gutwilliger Disziplin getragen". So sieht er den 'Führer' "etwa wie einen konstitutionellen Monarchen seiner Massen"126, und zitiert im Zusammenhang mit solcher Apostrophierung sogar den eigenen Terminus "Geltungspflicht der Stelle' von 1924. Über den Redner Hitler, obgleich er ihn mit Adjektiven, wie "vergröbert" und "plump" charakterisiert, lautet sein abschließendes Urteil gleichfalls positiv: "Wenige Tatsachen und Urteile und Leitsätze den Hörern derart einzuhämmern, daß jedermann sie begreifen und im Gedächtnis behalten muß", sei "die richtige Form". Im Ganzen lasse sich nicht leugnen, daß der Parteiführer "aus seiner Person und Sache einen Stil entwickelt hat, der die beteiligten Menschen wirksam verbindet und die vorhandenen Fähigkeiten, Tendenzen und Ziele klar zum Ausdruck bringt". Angesichts dessen gingen aber "fast alle an sich richtigen Einwände [... ] am Wesentlichen vorbei, meist wohl aus ästhetisierendem Intellektualismus" (sic!).

Dagegen stimmt Prinzhorn in eine andere Tendenz hinter der "unleidlichen Plattheit und Anmaßung der meisten Kundgebungen"130 ein, in die des Antisemitismus. Er begründet diese Haltung bemerkenswerterweise mit der Notwendigkeit einer Verteidigung: "Es ist und bleibt grotesk, daß eine einflußreiche hochintellektuelle Presse es in den letzten Jahren wagen durfte, unser geistiges Leben mit einer zäh und konsequent betriebenen anti-arischen Propaganda zu durchsetzen" - und einer Verteidigung gegen bestimmte Formen der Verteidigung (!): "Die beliebteste Taktik von philosemitischer Seite besteht darin, jede Bestreitung oder Relativierung der Werte, die im Judentum am höchsten gehalten werden, als Anzeichen eines Antisemitismus im subalternen Sinne darzustellen". Er empfiehlt jedoch gegen "die rasend schnelle, in kaum zwei Generationen geschehene Überflutung mit jüdischem Geist" statt Kampf überzeugendere Selbstdarstellung, "in Werk und Tat nämlich die dem Judentum unbequemen arischen Eigenwerte auf so hohem Niveau zum Ausdruck zu bringen, daß nur offensichtig tendenziöse Gehässigkeit noch Angriffspunkte findet".

Es gibt freilich zwischen 1930 und 1933, unter dem Eindruck tagespolitischer Ereignisse, auch Schwankungen im den Nationalsozialisten geltenden Zutrauen. "Ich weiß nicht, ob es ernsthafte Leute gibt, die zu glauben wagen, die nationalsozialistische Gruppe sei heute imstande, das Wohl unseres Volkes selbstverantwortlich zu lenken. Aber ich hoffe, daß es recht viele gibt, die von einer gut durchgebildeten nationalsozialistischen Opposition den nächsten Schritt zu unserer politischen Reifung erwarten", schreibt Prinzhorn in seinem ersten Beitrag "Über den Nationalsozialismus".139 Im zweiten will er wissen, "daß als Ausgang der Bewegung ständig in erster Linie die tragische Groteske droht, weniger wahrscheinlich die Tragödie einer europäischen Gesamtkatastrophe", und er schließt mit dem (ein wenig komplizierten) Aufruf an seine Leser: "Sprecht mit allen Menschen vom Nationalsozialismus. Ihr werdet die Art seiner Verbundenheit mit dem deutschen Schicksal sogleich erkennen".140

Zwar mahnt er noch einmal auf drei Gebieten die Zuziehung von "Sachkennern" an: auf dem der Kunst, dem des "Rasseproblems" und dem der Jugendorganisation. Den Künstlern, die er vorher als "Sinnende" idealtypisch den Politikern gegenübergestellt hat, wünscht er eine "Kunstpolitik" wie die Mussolinis (der "ausdrücklich den Hitzköpfen, denen die künstlerische Ordnung anvertraut wurde, völlig freigestellt [habe], es zu machen wie sie wollten"), obgleich ihm deren Ergebnis "größtenteils unangenehm" sei. Dem "Judenproblem", demgegenüber seine Haltung unverändert geblieben ist - vermeinend, die angekündigte Ausrottung sei unmöglich, gibt er zu bedenken: "Nur was man vernichten oder versklaven kann, muss Schmähungen erdulden" -, widmet er den umfangreichsten Abschnitt, um - fast mutet das Unternehmen zynisch an - "mehrere Schichten der russischen Spannung zu unterscheiden": von der der "vitalen Fremdheitsreaktion" bis zu der "taktisch-politischen" insgesamt acht.

Eingedenk des Erscheinungsortes der Artikel "Über den Nationalsozialismus", ihres Eintretens für die Partei trotz aller Kritik und der hart sich befehdenden Parteiungen in den Zeitungen und Zeitschriften dieser Jahre kann es nicht verwundern, daß Prinzhorn von vielen Zeitgenossen dem Lager der Nationalsozialisten zugeschlagen wurde; Ludwig Marcuse etwa wetterte 1932 im 'Tagebuch' gegen den "Rekruten" der "NietzscheKompanie" und warf ihm schlecht verhohlenen Opportunismus vor.150



Fußnoten:


36. "Psychotherapie" (1929): 21.
37. Vgl. "Psychotherapie" (1929): 9, mit dem "Gespräch über Psychoanalyse" 1926/1981), wo der "Dichter" auf eben dieses Zitat Nietzsches zum "Arzt" sagt: "Laßt uns anerkennen, [...] solche Hilfe durch wahrhaft tief wissende oder gar weise Ärzte sei möglich, und du gehörtest zu ihnen" (13); siehe auch Prinzhorns Rezept eines idealen Therapeuten: "Psychotherapie" (1929): 207.
38. "Schizophreiüe" (1925): 738.
39. "Ludwig Klages" (1927): 403.
40. "Bildnerei der Geisteskranken" (1922): IV.
41. "Gespräch über Psychoanalyse" (1926/1981): 63.
60. Zu diesem Topos im expressionistischen Deutschland siehe: Eyckmann (1974): 28 ff.
68. "Persönlichkeitspsychologie" (1932): 11.
69.
"Gemeinschaft und Führertum. Ansatz zu einer biozentrischen Gemeinschaftstheorie".
von Hans Prinzhorn (1932)
: S.186.
118. "Psychotherapie" (1929): 316.
119. Siehe hierzu Prater (1984): 205 f
120. "Über den Nationalsozialismus" (1930): 884; s.a. "Zur Problematik des nationalen Radikalismus. Über den Nationalsozialismus II" (1931): bei den Nationalsozialisten fände sich von "echter Hingabefähigkeit an überpersönliche werthaltige Ideale" heute "am meisten" (576).
121. "Zur Problematik des nationalen Radikalismus. Über den Nationalsozialismus II"
(1931): 575.
122. Ebenda 573.
123. "Über den Nationalsozialismus" (1930): 884.
124. "Psychologisches zum Führertum. Über den Nationalsozialismus IV" (1932): 770.
125. Folgendes in der Hauptsache nach "Zur Problematik des nationalen Radikalismus. Über den Nationalsozialismus II" (1931): 573-574.
126. "Über den Nationalsozialismus" (1930): 885.
130. "Zur Problematik des nationalen Radikalismus. Über den Nationalsozialismus II"
(1931): 576.
139. "Über den Nationalsozialismus" (1930): 885.
140. "Zur Problematik des nationalen Radikalismus. Über den Nationalsozialismus II"
(1931): 577; vermutlich sollte es hier eigentlich heißen: "Sprecht mit jedem Men-
schen ...".
150. Marcuse (1932).

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