In der
letzten Woche sollte in der Berliner Volksbühne die Ausstellung
"The Missing Link - Karl Bonhoeffer und der Weg in den medizinischen
Genozid" gezeigt werden. Was sollte dort zu sehen sein?
Es handelte
sich um zwei Figuren, die der weltbekannte israelische Bildhauer Igael
Tumarkin dem Landesverband Psychiatrie-Erfahrener Berlin-Brandenburg
schenkte. Dieses Geschenk hat seine besondere Bedeutung dadurch, daß
den Skulpturen eine künstlerische Transformation zweier Büsten
von Karl Bonhoeffer zugrunde liegt. Die eine war bis zum Herbst 1998
im Karl-Bonhoeffer-Raum in der Psychiatrie der Charité, die andere
befand sich auf dem Gelände der Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik. Sie
waren dort spurlos verschwunden und sind schließlich in Israel
wieder aufgetaucht. Tumarkin hatte sie nun kunstlerisch verändert
und ihnen die poetischen Namen "Der Professor, das Opfer, der heilige
Kelch" und "Kastrierungsgedanken kommen mit Engelsmusik"
gegeben. Am 3l. Mai sollte die Ausstellung in der Volksbühne eröffnet
werden.
Wo liegt
die politische Brisanz dieser Ausstellung?
Die Ausstellung war als Protest gegen die fortdauernde Ehrung von Karl
Bonhoeffer gedacht. Er hat in der Nazizeit nicht nur seriell Gutachten
für Zwangssterlisationen geschrieben und war Richter um Erbgesundheitsobergericht,
sondern wurde sogar noch am 18. August 1942 von Hitler zum außerordentlichen
Mitglied des wissenschaftlichen Senats des Heeres-Sanitätswesens
ernannt. Seit Jahren fordern wir die daher Umbenennnung der Klinik in
Berlin, die heute noch seinen Namen trägt.
Doch die
Klinikverantwortlichen weigern sich obwohl seit 1993 Zwangssterilisationen
vom Deutschen Bundestag als Naziunrecht anerkannt werden. Mit den Skulpturen
wird die fehlende Verbindung zwischen der rassistischen Ideologie und
ihrer mörderischen Verwirklichung im Holocaust sichtbar gemacht,
daher der Name "Missing Link".
Und
warum platzte die Polizei in die Ausstellung?
Erst am Mittwoch erfuhren wir, daß sich die Polizei für die
Angelegenheit interessiert und daß ein Beschlagnahmebeschluß
des Amtsgerichts Tiergarten vorliegt. Hintergrund ist ein Ermittlungsverfahren
wegen Diebstahls der Büsten. Während der Vernissage wurden
die Büsten beschlagnahmt und in ein Polizeiauto transportiert.
Auf die Angebote der Moderation, die Büsten wenigstens bis zum
Ende der Veranstaltung stehen zu lassen, ließ sich die Polizei
nicht ein. Zwar waren in der Halle nur zivil gekleidete Beamte anwesend.
Aber zur Verstärkung wurden dann uniformierte Polizisten herein-
geholt, die vor der Volksbühne warteten.
Wie
werden Sie weiter vorgehen?
Wir haben schon unseren Anwalt eingeschaltet und klagen auf Herausgabe
der Skulpturen. Auch die Volksbühne als Veranstalterin legte Widerspruch
gegen die Beschlagnahme ein. Aus juristischer Sicht ist die Beschlagnahmeaktion
nämlich nicht haltbar, weil die Schaffung eines neuen Kunstwerks
ein neues Eigentum begründet, selbst wenn die Materialien dafür
gestohlen sind. Dazu gibt es auch schon entsprechende Urteile. Aber
letztlich ist das Ganze eine politische Entscheidung. Sollten wir die
Skulpturen zurückbekommen, wollen wir die Ausstellung an den vorgesehenen
Orten nachholen. Im Anschluß schlagen wir als Dauerstandort für
die beiden Figuren das Klinikum Berlin-Buch und das Foyer des Deutschen
Bundestages vor. Wir finden es wichtig, kein opferbezogenes Denkmal
aufzustellen, sondern eins, daß die Täter in das künstlerische
Blickfeld nimmt.
Interview:
Garsten Becker
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