Museum der Wahnsinnigen Schönheit
Kunst



Das „Museum der Wahnsinnigen Schönheit" soll sichtbar machen, welchen Lebensäußerungen die Vernichtungsmaschinerie des Nationalsozialismus galt: diese waren das Befremdliche, welches sich in geistiger/körperlicher Behinderung, im Wahnsinn, in der Epilepsie, in sozialer Abweichung äußert; ebenso wie in der Kunst, und hier ist insbesondere die Kunst der Moderne gemeint. Der Vernichtungsfeldzug des NS-Regimes richtete sich nicht gegen die Effekte der industriellen Modernisierung, wie Massenproduktion und technischer Fortschritt überhaupt; dieser wurde ganz im Gegenteil im nationalsozialistischen Deutschland mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln gefördert. Zwischen 1933 und 1945 entstand in Deutschland eine Massen-Industrie-Gesellschaft, d. h., der Nationalsozialismus verschloß sich nicht den Neuerungen der Moderne an sich, sondern im besonderen den Neuerungen in kultureller und geistesgeschichtlicher Hinsicht, dem neuen Selbstverständnis des Menschen als Individuum in einer säkularisierten Welt. Dieses neue Selbstverständnis bildete sich synchron zum Niedergang des metaphysischen Weltbildes heraus, es löste dieses ab.

Die im 19. Jhdt. einsetzende Verunsicherung erwuchs nicht nur aus der Entwicklung neuer Produktionsweisen und technischer Neuerungen schlechthin, sondern aus der Zerbröckelung der alten Ordnung, der Grundpfeiler Kirche und Adel. Das Anliegen der Moderne, die geistige und materielle Emanzipation des Menschen, das Bedürfnis nach selbstbesonnener, verantwortlicher Individuation, die Aufgabe der Suche nach metaphysischer Welterklärung, das Treffen gesellschaftlicher sowie individueller Entscheidungen nicht auf Basis religiöser Denkmodelle, sondern aufgrund pragmatisch-rational fundierter Einsichten und empirisch belegbarer Feststellungen, forderte vom Einzelnen ein in-der-Welt-sein des seiner selbst bewußten, reflektierenden Individuums. Die Welt wurde komplexer. Die klaren Entscheidungsvorgaben religiöser, metaphysischer Orientierungen wurden hinfällig, die Welt wurde „entzaubert"1. Das Individuum konnte seine Bedeutsamkeit in der Welt nicht mehr selbstverständlich aus einer klar definierten Hierarchie ableiten, welche noch dazu eine jenseitige Legitimation innehatte. Insbesondere die Mittel- und Unterschicht fand sich in ein soziales Nichts katapultiert2.

Diese Schichten konnten sich in metaphysischen Zeiten als Bauern, als Dienstpersonal oder Staatsdiener, Handwerker etc. innerhalb einer festgefügten Ständeordnung deutlich verorten. In dieser fand ihr Dasein einen Sinn; mit dem Zerbrechen dieser religiösen Ordnung verloren diese Schichten ihr Selbstwertgefühl, welches sie durch ihren Platz innerhalb eben dieser bezogen hatten. Gleichzeitig verweigerten sie sich zum großen Teil einer neuen, modernen Identität, wie sie durch die Bewegungen der Avantgarde propagiert wurde. Avantgardistische Inhalte wurden in Kunst, Literatur und Musik formuliert. Am Beispiel der Kunst wird der Vorbehalt seitens des Publikums Neuerungen gegenüber besonders deutlich: „bei der Konfrontation mit neuen Kunstwerken (und möglicherweise mit gesellschaftlichen Neuerungen) geschieht dies häufig in abwertender Weise, indem diese als Unsinn, bloßer Spaß (z. B. Happenings) und dergleichen mehr bezeichnet werden, damals wie heute, die Künstler selbst, die Urheber dieser Neuerungen, zu 'Sündenböcken' für den Umstand daß sich ihre Werke dem Verständnis des Publikums verschließen.

Vielleicht ist die Kunst einer der wenigen Indikatoren, mit denen solche Verhaltenstendenzen noch nachzuweisen sind"3. Hier erhält das Anliegen des „Museums der Wahnsinnigen Schönheit", sich über Kunst, und auch allgemeiner über ästhetischen Ausdruck, mit weitverbreiteten Aversionen dem Befremdlichen, Unbekannten gegenüber auseinanderzusetzen, seine besondere Bedeutsamkeit. Diese Aversionen, wie sie der Modernen Bewegung gegenüber vor 1933 in Deutschland manifest waren, waren ähnlich, wenn nicht gar identisch motiviert wie die Ablehnung den späteren Opfer der „Euthanasie"gegenüber. Das Gemeinsame der sonst so unterschiedlichen Opfer war das sich außerhalb der anti-modernen Norm Befindliche, ein Charakteristikum, welches sie mit den Vertretern der Modernen Bewegungen teilten. Über diesen gemeinsamen Nenner hinaus, und das unterscheidet die verfolgten Kulturschaftenden von den Opfern der „Euthanasie", galten letztere der Anti-Moderne als „nutzlose Esser", ein nicht zu unterschätzendes Motiv für deren Mißhandlung und Ermordung.

Im Hinblick auf die Ausgestaltunq der geplanten Gedenkstätte werden also diese beiden Stränge eine Rolle spielen: zum einen die Beschäftigung mit ablehnendem bis hin zu feindseligem Verhalten dem „Unheimlichen", Befremdlichen gegenüber, zum anderen der sozio-ökonomische Aspekt der „Vernichtung lebensunwerten Lebens". Im besonderen wird hierbei die sich bereits vor 1933 abzeichnende, späterhin nationalsozialistische Ideologie als Lückenfüller für die verlorene metaphysische Selbstgewissheit untersucht werden. Der nationalsozialistische Staat wandte sich nicht, wie bereits angesprochen, gegen die Modernität in der Produktion, in der Industrie; im Gegenteil entstand unter seinem Regime die industrielle Massengesellschaft, obwohl der „Bauer und seine Scholle", das „Blut und Boden" eine so herausragende Rolle in der nationalsozialistischen Propaganda spielten. Der Umkehrschluß, ohne den Nationalsozialismus wäre die moderne Industriegesellschaft nicht entstanden, wird im Rahmen der geplanten Gedenkstätte jedoch nicht behauptet.

Der Nationalsozialismus verwarf die der Moderne immanente Individualisierung der Lebensperspektive des Einzelnen. Er füllte die ideologische Leerstelle, welche mit dem Zusammenbruch der nicht nur geistigen Herrschaft von Adel und Kirche entstanden war; er füllte den durch das Abhandenkommen der Metaphysik leer gewordenen
Raum. Dies ging einher mit der Ablehnung und Bekämpfung des emanzipatorischen Programms der Moderne, wie es in politisch-sozialen Bewegungen, in der Kunst, in der Kultur überhaupt zum Ausdruck kam. Der Nationalsozialismus sammelte die Beunruhigung, welche durch die Zersetzung der Metaphysik entstanden war. Die frei gewordene Energie der metaphysischen Suche kulminierte, fand ihre geistige Heimat in der biologistischen Welterklärung. Forschungsergebnisse der modernen, rational-empirischen Wissenschaft mutierten hier zur quasi-Religion, übernahmen die Funktion überkommener Metaphysik. Die in dem vorliegenden Konzept formulierte Kritik am neuzeitlichen Fortschrittsgedanken und an dessen Wissenschaften zielt nicht ab auf eine Negierung, auf eine Aufhebung derselben.

Die Verabsolutierung des irrationalen Subjekts ist keineswegs notwendige Konsequenz aus der in Fragestellung der Wertfreibeit der sich so bezeichnenden Wissenschaften. Aus einer solchen Kritik resultieren nicht zwangsläufig neo-romantische Lebens- und Gesellschaftskonzepte. Im Rahmen der geplanten Gedenkstätte impliziert diese Wissenschaftskritik das Bemühen um rationale und empirisch fundierte Selbst- und Weltreflexion, jenseits von Metaphysik, und Bemühung um rational-kommunikative Verfahren der Wertbildungen. Das vorliegende Konzept plädiert nicht für eine Verabschiedung der Moderne, sondern befaßt sich mit dem irrationalen Charakter der der „Euthanasie" zugrunde liegenden Wissenschaften, unter der Prämisse der prinzipiellen Möglichkeit von Rationalität im Sinne des Programms der Moderne.

Das vorliegende Konzept versucht nicht, vernünftiges Handeln ad absurdum zu führen, sondern hinterfragt die involvierten Wissenschaften bezüglich ihrer eigenen Rationalität und bezüglich ihres Geltungsanspruches als wahrheitsstiftende Institution. Ebensowenig werden Ergebnisse der exakten Wissenschaften als unzutreffend verworfen. Die im Rahmen der geplanten Gedenkstätte formulierte Kritik setzt dort an, wo Wissenschaft sich nicht auf Aufklärung über die Welt beschränkt, sondern deren Erkenntnisse zum Religionsersatz mutieren. Das vorliegende Konzept plädiert für eine fortwährende Hinterfragung des Forschungsinteresses, insbesondere dort, wo durch die Forschung sozialwissenschaftliche Bereiche tangiert werden. Dieses Plädoyer impliziert die strikte Trennung von Forschungsergebnis und sozial-gesellschaftlichem Handeln, d. h., vermeintlich wissenschaftlich notwendige Handlungsperspektiven werden in Frage gestellt. Es war also eine Sache, genetische Zusammenhänge zu erforschen, eine andere aber, aus den Forschungsergebnissen Handlungsperspektiven zu entwickeln.

An der „Euthanasie" wird deutlich, daß soziales Handeln nicht per se aus Forschungsergebnissen abgeleitet werden kann, sondern Entscheidungsfundierung verlangt, welche verantwortlicher Reflexion bedarf und also nicht aus postuliertem Naturgeschehen ableitbar ist. Die materiale Natur gibt dem Menschen bezüglich seines gesellschaftlichen Handelns keine Orientierung; Natur ist keine Auskunft gebende Instanz, keine metaphysische Autorität. Der Mensch findet die Welt vor und ist bei der Entwicklung von Handlungsperspektiven, bei der Ausgestaltung seiner Existenz auf sich selbst gestellt. Die modernen Industriegesellschaften der Gegenwart haben Religion zur Privatsache erklärt. Die Religionsfreiheit duldet ein Nebeneinander unterschiedlicher Metaphysiken. Aufgabe einer fortgeführten Aufklärung ist es, wissenschaftliche Erkenntnisse hinsichtlich religiöser Komponenten zu untersuchen und diese offenzulegen, vor allem dort, wo diese Erkenntnisse Handlungsperspektiven notwendig erscheinen lassen. Dieser aufklärerische Anspruch ergibt sich aus der Bejahung der offenen, pluralistischen Gesellschaft, in dessen Rahmen sich die geplante Gedenkstätte eingebettet sehen will.

Das vorliegende Konzept plädiert für rationale, kommunikative Selbstvergewisserung, jenseits einer irgendwie gearteten metaphysischen oder esoterischen Selbstvergessenheit. Die geplante Gedenkstätte möchte an die Opfer der „Euthanasie" erinnern über Verständigung hinsichtlich ethischer Setzungen. Dies soll über das Medium Kunst und Ästhetik im weitesten Sinn geschehen.

Im weiteren soll näher erläutert werden, warum ästhetische Arbeit im Rahmen der Gedenkstätte für besonders geeignet erachtet wird, das inhaltliche Anliegen derselben zu transportieren; ein Aspekt, welcher eingangs bereits erwähnt wurde.

Kunst ist in diesem Zusammenhang in zweierlei Hinsicht von Bedeutung: zum einen als eigenständiges, interaktives Medium zur Verständigung über Welt schlechthin, zum anderen als Sichtbarmachung des Lebens der damals potentiellen oder realen Opfer, d. h. deren Existenz vor ihrer Ermordung, auch wenn man nicht bei allen ihren ästhetischen Produkten von Kunst sprechen möchte. Zunächst soll auf den erstgenannten Aspekt, auf Kunst schlechthin und deren Bedeutung für die geplante Gedenkstätte eingegangen werden. Das Interesse der Betrachtung beschränkt sich dabei auf Moderne Kunst, da der Gegenstand der Gedenkstätte, die „Euthanasie", mit dieser Kunstepoche zeitlich und inhaltlich zusammenfällt.

Moderne Kunst war und ist seit ihren Anfängen Gegenstand einer ablehnenden bis feindseligen Haltung seitens der Rezipienten gewesen, sofern sie in der Öffentlichkeit überhaupt wahrgenommen wurde und wird. Sie verkörpert das Befremdliche per se, ist mit zunehmendem Abstraktionsgrad dem Betrachter in ihrem Sinngehalt nicht unmittelbar zugänglich. In der Modernen Malerei wurde das Konzept der möglichst exakten Imitation der unmittelbar für das menschliche Auge sichtbaren Gegenstände, der Mimesis-Gedanke, aufgegeben, zugunsten sehr unterschiedlicher, differenzierter Kunstrichtungen, wobei die abstrakte Malerei am weitesten von mimetischen Vorstellungen abrückt. Abstrakte Kunst fordert von den Rezipienten ein hohes Maß an Offenheit in der Wahrnehmung und bei deren Verarbeitung. Sie konfrontiert den Betrachter weitgehender als alle anderen Richtungen mit der allen diesen Richtungen zugrunde liegenden Prämisse, daß das Kunstprodukt, das Bild, nicht der abgebildete Gegenstand selbst ist, sondern ein Objekt für sich, ein Gegenstand neben anderen Gegenständen.

Dieser Umstand erwartet vom Betrachter die Fähigkeit, Objekte getrennt voneinander wahrzunehmen, und auch in der Lage zu sein, zwischen Kunstwerk und Künstler eine klare Trennung zu vollziehen, da das Nicht-Verschmelzen des Künstlers mit seinem Werk ein wesentliches Charakteristikum Moderner Malerei war und ist; d. h., Moderne Kunst versteht sich nicht als Verkünder, Prediger eherner Wahrheiten, sondern der Künstler ist Subjekt, Teil einer kommunikativen Handlung. Diese Tatsache korrespondiert mit der Alltagsüberzeugung, daß der Überbringer der schlechten Nachricht nicht mit dieser selbst zu verwechseln sei. Der Bruch zwischen traditioneller und Moderner Malerei liegt dort, wo diese nicht mehr sakralen Charakter hat, d. h., wo sie nicht mehr in eine höfische oder klerikale Sphäre integriert ist, sondern als l'art pour l'art in Erscheinung tritt, das zu Hause der Kunst das Museum und die Galerie wird, unbenommen der Tatsache, daß sie auch dort ein unspezifisches Flair umgibt, welches durchaus als vormoderner Restbestand gedeutet werden kann.

Die „Alten Meister" und ihre Nachfolger waren eingebettet in das Sinngebilde ihrer Zeit, welches als metaphysisches charakterisiert werden kann. Kunstgegenstände waren dort nicht nur ein Produkt ästhetischen Ausdrucks, sondern besaßen religiöse oder quasireligiöse Bedeutsamkeit. Diese Bedeutsamkeit kam der Malerei spätestens mit dem Impressionismus abhanden, welcher den Künstler als eigenständiges Subjekt einbrachte. Dieser war nun nicht länger festgelegt auf Mimesis und auf Verkündigung von Wahrheiten, welche außerhalb seines Einflußbereiches lagen, von ihm vorgefunden wurden in einer nicht von ihm, sondern von den Institutionen der Macht determinierten Auslegung. Spätestens der Impressionismus führte den individuell produzierenden Künstler in das Kunstgeschehen ein4.

Es wurde bereits festgehalten, daß das Abhandenkommen der Metaphysik im ausgehenden 19. Jhdt. allgemein war, also nicht auf den Bereich der Kunst beschränkt. Die Avantgarde-Kunst war selbst Triebkraft dieser Veränderung und gleichzeitig war sie in diese selbst hineingeworfen. Aus der allgemeinen Beunruhigung und Verunsicherung heraus, der auch die Kunst ausgesetzt war, entwickelte diese die emanzipatorischen Utopien der Klassischen Moderne. Deren Gegner formierten sich unter dem geistigen Dach der Biologie als Metaphysik, kultivierten eine sehnsüchtelnde Innerlichkeit, welche in allen Bereichen der menschlichen Existenz ihre Ausprägung fand; d. h., die „neue" Metaphysik wurde von ihren Anhängern in allen Bereichen der gesellschaftlichen Debatte ausformuliert und -agiert. Zahlreiche Forschungen befassen sich mit der Auswirkung einer dogmatischen Lebenshaltung auf die Rezeption Moderner Malerei. Trotz der Mängel solcher Versuche bleibt als Ergebnis festzuhalten, daß Dogmatismus und Moderne Malerei sich ausschließen, und zwar bereits auf der Schwelle menschlicher Wahrnehmung, und nicht erst bei der Herausbildung eines ästhetischen Urteils5. D.h., eine dogmatische Haltung hindert den von ihr eingenommenen

Rezipienten an der detaillierten Wahrnehmung der Struktur eines im Sinne von Mimesis nicht unmittelbar sinnhaften geometrischen Gebildes, auch wenn es sich dabei nicht um Kunst handelt, sondern um eine beliebige geometrische Figur. Diese beliebige geometrische Figur kann als Repräsentant gesehen werden für das Befremdliche überhaupt, welches der Abwehr der dogmatischen Haltung zum Opfer fällt. Jenseits wahrnehmungswissenschaftlicher Versuchslabors manifestiert sich diese Abwehr als bedeutender Aspekt bei der Suche nach Klärung der Motivation der an der „Euthanasie" Beteiligten und des diese duldenden Umfelds. Gleichzeitg läßt sich feststellen, daß dem sich einlassenden Betrachter Kunst durchaus neue Wahrnehmungsperspektiven eröffnet, bei diesem also ein Interesse für neue Sichtweisen bewirken kann, so im Kontext der geplanten Gedenkstätte eine Reflexion bezüglich der Opfer, aber auch der Täter, und damit ein Sinnhaftmachen der Vergangenheit, welche also nicht der Verdrängung und damit dem Unbearbeitetbleiben anheim fallen soll.

Bei den vorgesehenen Ausstellungsstücken für die Gedenkstätte handelt es sich nicht ausschließlich um als solche anerkannte Kunst, sondern um ästhetische Arbeiten der damals realen oder potentiellen Opfer der „Euthanasie". Ein Aspekt der intendierten Ausstellung ist also die Auseinandersetzung mit Kunst als das Exempel schlechthin für das Befremdliche, denn die Opfer der „Euthanasie" erschienen den Tätern als Fremdkörper in der Harmonie des trauten „völkischen" Ganzen. Zu diesen Faktoren kommt hinzu, daß die realen oder potentiellen Opfer eben selbst ästhetisch tätig waren. Das Besondere am „Museum der Wahnsinnigen Schönheit" ist, daß es sich nicht um ein Museum im Sinne des Kunstbetriebes handelt, sondern um eine Gedenkstätte, welche Lebensäußerungen der damals realen oder potentiellen Opfer zeigen möchte, also nicht ausschließlich über Dokumente des Verbrechens die „Euthanasie" thematisieren möchte, sondern über Lebenszeugnisse.

Die Wichtigkeit der Ausstellung von darstellerischen Werken liegt auch in dem Abstand zum Alltag, der hierdurch geschaffen wird, also eine Distanzierung des Betrachters zu seiner eigenen Alltagserfahrung und damit die Ermöglichung der Öffnung für den Gegenstand der Gedenkstätte, für die Reflexion über das Verbrechen einerseits, aber andererseits eben gerade über das Leben der Opfer mit all seinen Facetten. Die oft nicht unmittelbar mimetische Sinnhaftigkeit ästhetischer Werke psychiatrischer Patienten oder Behinderter, gleichgültig, ob sie als Kunst rezipiert werden oder nicht, bieten einen Schlüssel zum Verständnis des in-derWelt-Seins, der inneren Verfaßtheit von Menschen, die sich über „normale" Kommunikationswege nicht mitteilen können oder wollen. Innerhalb des Kunstbetriebs und innerhalb der mit der Behandlung und Betreuung psychisch Kranker und Behinderter befaßten Fachwelt bestand und besteht lebhaftes Interesse an diesen ästhetischen Produkten.

In der kunsttheoretischen Geschichte der Moderne, bis in die Gegenwart hinein, taucht als Thematik der Analyse immer wieder der Versuch auf, Kunst in Zusammenhang zu bringen mit psychopathologischen Zuständen oder geistiger Abweichung. Aus der Tatsache, daß psychiatrische Patienten und Behinderte ästhetisch tätig sind, wurde und wird auf den Gemüts- und Geisteszustand Moderner Künstler geschlossen. Ein Umkehrschluß, welcher aufgrund kunsttheoretischer Erwägungen schwierig zu fundieren ist. Nun läßt sich beobachten, daß jeweils unterschiedliche Berufsgruppen versuchen, ihre Vorbehalte Moderner Kunst gegenüber ihrem jeweiligen Fachgebiet entsprechend logisch-rational zu artikulieren6, d. h. also, versuchen, ihrer irrationalen Beunruhigung angesichts eines z. B. abstrakten Kunstwerkes über eine Abwertung des Künstiers Herr zu werden, wobei die für die Rezeption Moderner Kunst notwendige Trennung zwischen Künstler und Werk dann nicht vollzogen wird. Anliegen der geplanten Gedenkstätte ist die Ausstellung ästhetischer Arbeiten und von als Kunst rezipierten Werken psychiatrischer Patienten und Behinderter als Lebenszeugnisse von Individuen und nicht als besonders aufschlußreiche Manifestationen eines seelischen, geistigen oder körperlichen Defizits.

Die zur Ausstellung vorgesehenen Stücke werden im Rahmen der geplanten Gedenkstätte also als positiver Beitrag zu ästhetischer Kommunikation gewertet und nicht als Ausdruck eines Mangels. Ebensowenig wie innerhalb des Kunstbetriebes, in der Auseinandersetzung mit Kunst, die körperliche oder geistig-seelische Verfassung des Künstlers Kriterium bei der Beurteilung des Werkes sein sollte, sollten ästhetische Erzeugnisse psychiatrischer Patienten oder Behinderter, auch wenn man sie nicht mit dem Attribut Kunst versehen will, als Inkorporation eines Defekts betrachtet werden. Die geplante Gedenkstätte möchte in diesem Sinn ein Forum bieten zur Hinterfragung unreflektierter Abwehr von zunächst Befremdlichem. Sie möchte auch Gelegenheit geben zur fundierten kunsthistorischen und -theoretischen Auseinandersetzung unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte. In diesem Zusammenhang erheben die vorangegangenen Ausführungen zum Thema Kunst keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit, sondern wollen mit Hilfe fragmentarischer Überlegungen die konzeptionelle Orientierung der geplanten Gedenkstätte verdeutlichen.

Durch die Anmerkungen zur Kunstrezeption möchte herausgestellt werden, in welch hohem Maß sich gerade Kunst und allgemeiner, ästhetische Arbeiten für die Thematisierung der „Euthanasie" eignen und in welch hohem Maß diese Werke das angemessene Medium darstellen zum Gedenken an das Leben der Opfer vor ihrer Mißhandlung und Ermordung. Im Rahmen der geplanten Gedenkstätte wird es als wichtig erachtet, gerade auf das Leben der realen und potentiellen Opfer hinzuweisen, nicht zuletzt, um deutlich zu machen, welche Gesellschaftsmitglieder zwischen 1933 und 1945 ausgegrenzt und schließlich ermordet wurden, welchen Menschen also das Recht auf Leben abgesprochen wurde. Dieser Aspekt ist für die konzeptionelle Entwicklung der geplanten Gedenkstätte, neben der Dokumentation der stattgefundenen Verbrechen, also von besonderer Wichtigkeit.

Abschließend läßt sich sagen, daß im Rahmen dieser Gedenkstätte eine umfassende, wissenschaftlich fundierte Aufarbeitung der „Euthanasie" angestrebt wird. Durch deren Ausgestaltung soll die Öffentlichkeit über die historischen Tatsachen aufgeklärt und für die Lebenszusammenhänge und Umstände der potentiellen und realen Opfer sensibilisiert werden. Ein Forum wird intendiert, welches die Auseinandersetzung mit der Thematik in einer kommunikativen Atmosphäre ermöglicht. Die der „Euthanasie" zugrunde liegenden Wertsetzungen sollen offen gelegt werden, denn die Aussage zur Ästhetik, in der Dissertation A. Untners zitiert, hat wohl nicht nur auf Kunst bezogen Gültigkeit; „die gemeinsam festgelegten Normen werden mit objektiv erkennbaren Tatsachen verwechselt, durch die soziale Gewißheit nehmen sie den Charakter der Selbstverständlichkeit an."7



Fußnoten

1) vgl. Johannes Weiß, Vernunft und Vernichtung, Zur Philosophie und Soziologie der Moderne, Opladen 1993

2) vgl. Ulrike Haß, Militante Pastorale, Zur Literatur der antimodernen Bewegungen im frühen 20. Jhdt., München 1993

3) zitiert aus Alois Untner, Das Unverständnis gegenüber Moderner Malerei, Dissertationen der Universität Salzburg, Wien
1990, S. 40, dort aus Wick, R., Wick-Kmoch, A., Kunstsoziologie, Köln 1979

4) vgl. Alois Untner, Das Unverständnis gegenüber Moderner Malerei, Dissertationen der Universität Salzburg, Wien 1990

5) ebd.

6) ebd.

7) ebd. S. 57

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