Museum der Wahnsinnigen Schönheit

Gutachterlicher Vermerk
von Prof. Peter Raue

Eigentumslage an den Gegenständen der Prinzhorn-Sammlung

I.

Sachverhalt und Fragestellung

1. Die Prinzhorn-Sammlung ist eine Sammlung von Kunstwerken, hauptsächlich Bildern, die von chronisch Geisteskranken zwischen den Jahren 1880 bis 1920 gemalt worden sind. Bei den Malern handelt es sich hauptsächlich um schizophrene Patienten aus verschiedenen Kliniken der damaligen Zeit. Die Sammlung umfaßt über 5.000 Werke. Zuletzt wurde sie vom 31. März 1996 bis zum 28. April 1996 im Schloß Heidelberg ausgestellt.

In den Jahren 1990 bis 1921 ist die Sammlung im wesentlichen zusammengetragen worden. Veranlaßt wurde dies vom Leiter der psychiatrischen Universitätsklinik Heidelberg, Wilmans, und durchgeführt von Hans Prinzhorn, einem Mediziner und Kunsthistoriker, der von 1919 bis 1921 an der psychiatrischen Universitätsklinik Heidelberg tätig war. Nach Prinzhorn wurde die Sammlung auch benannt. Seit dieser Zeit lagert die Ausstellung in Räumen der psychiatrischen Universitätsklinik Heidelberg.

2. Erlangt wurden die Kunstgegenstände auf folgende Weise: Im Sommer 1919 forderte der Leiter der Universitätsklinik Wilmans verschiedene Kliniken im In- und Ausland auf, entsprechende Bilder "zu kurzer Einsicht" für Wissenschaftliche Zwecke zur Verfügung zu stellen. Später ließ er sich diese und weitere Gegenstände für ein zu schaffendes "Museum pathologischer Kunst" von den entsprechenden Kliniken schenken. Die geisteskranken Künstler erhielten bisweilen hierfür Anreize und Dankesgaben in Form von kleineren Geldbeträgen, Tabak und ähnlichem. Im wesentlichen lebten die Maler in deutschen Kliniken. Umfangreiches Material stammt aber auch aus Österreich und der Schweiz. Daneben gibt es aber auch Kunstwerke aus anderen Ländern wie Italien, Peru und Japan.

3. Die Geschichte der Prinzhornsammlung, ihrer Entstehung und ihres Verbleibs in den Jahren bis heute ist nur unvollständig in dem Ausstellungskatalog Die wahnsinnige Schönheit' zur Ausstellung von 1996 in Heidelberg dokumentiert (Bettina Brand-Claussen), der hier vorliegt.

4. Während des Dritten Reiches wurde die Sammlung nicht aufgelöst, sondern für die Ausstellung "Entartete Kunst" mißbraucht, mit der man damalige zeitgenössische, unliebsam Künstler diskreditieren wollte. Es wird im folgenden davon ausgegangen, daß diesbezüglich keine besondere staatliche Konfiskation vorgenommen wurde, weil vor und nach der Ausstellung Entartete Kunst' die Gegenstände gleichermaßen in der psychiatrischen Universitätsklinik lagerten.

Nach 1945 geriet die Sammlung in Vergessenheit und wurde erst in den 60er Jahren "wiederentdeckt" und im Jahre 1963 ausgestellt. Bis heute gibt es keine Räume für die Ausstellung, so daß die Gegenstände der Sammlung sich immer noch in den Lagerräumen der psychiatrischen Universitätsklinik befinden.

5. Der Mandant beabsichtigt, die Ausstellung dauerhaft in Berliner Räumen in der Nähe der Philharmonie neben dem T-4-Denkmal unterzubringen. Er fragt im Vorfeld dieser Bestrebungen an, wie die Eigentumslage an den Bildern sei, insbesondere, ob das Land Baden-Württemberg Eigentümer der Bilder ist.



II.

Rechtliche Würdigung


1 . Verjährung von Herausgabeansprüchen

Gleichgültig, wem die Bilder gehören (Eigentum), kann die psychiatrische Universitätsklinik sie behalten (Besitz). Denn Herausgabeansprüche des Eigentümers sind verjährt.

a) Unabhängig von der Frage, wer Eigentümer der Bilder ist, sind entsprechende Herausgabeansprüche von Eigentümern nach § 195 BGB verjährt. Das heißt, der gegenwärtige Besitzer, die psychiatrische Universitätsklinik Heidelberg bzw. ihr Rechtsträger, braucht auch einem anderen rechtmäßigen Eigentümer gegenüber die Sammlung nicht herauszugeben. Sie kann sich darauf berufen, daß dieser Anspruch auf Herausgabe, der einem Eigentümer zusteht, verjährt ist, weil sich die Sache seit mehr als 30 Jahren in ihrem Besitz befindet.

b) Dies gilt nach § 221 BGB auch dann, wenn die psychiatrische Universitätsklinik Heidelberg den Besitz an den Bildern auf einen anderen überträgt. Auch dieser bräuchte die Bilder nicht an einen etwaigen Eigentümer herauszugeben und könnte sich auf Verjährung berufen.

2. Eigentumslage

Dennoch ist von Interesse, wem die Bilder als Eigentümer rechtmäßig zustehen. Die folgenden Ausführungen beschränken sich auf in Deutschland erstellte Bilder, die in diesem Jahrhundert entstanden sind. Sie machen den Großteil der Sammlung aus. Bezüglich des restlichen Teils der Sammlung müßte unter Umständen das jeweilige nationale Recht, die Regeln des internationalen Privatrechts, sowie Partikularrecht aus der Zeit vor Geltung des Bürgerlichen Gesetzbuches geprüft werden. Diese Überprüfung wäre sehr aufwendig und ist im Rahmen dieses ersten Gutachtens nicht zu leisten. Es sei hierbei angemerkt, daß die Ausführungen über eine mögliche Ersitzung jedoch auch auf diese Gegenstände zutreffen, weil die Gegenstände sich in Deutschland befinden und deshalb deutsches Recht anwendbar ist (Staudinger - Wiegand, Kommentar zum BGB, 12. Aufl., 1995, Vorbemerkung zu § 937 Rn. 5).

a) Eigentumsvermutung nach § 1006 Abs. 1 BGB


Für das Eigentum der psychiatrischen Universitätsklinik Heidelberg bzw. ihres Rechtsträgers (das Land Baden-Württemberg oder die Universität Heidelberg) spricht die Eigentumsvermutung nach § 1006 Abs. 1 BGB.

Dieser lautet: "Zugunsten des Besitzers einer beweglichen Sache wird vermutet, daß er Eigentümer der Sache sei. Dies gilt jedoch nicht einem früheren Besitzer gegenüber, dem die Sache gestohlen worden, verloren gegangen oder sonst abhanden gekommen ist, es sei denn, daß es sich um Geld oder Inhaberpapiere handelt."

Sie greift aus folgenden Überlegungen im Ergebnis nicht.

aa) Zugunsten dessen, der eine Sache in Händen hat (Besitzer), wird gesetzlich vermutet, daß er Eigentümer ist. Dies ist die psychiatrische Universitätsklinik Heidelberg und somit das Land Baden-Württemberg oder die Universität Heidelberg.

bb) Die Vermutung gilt nach § 1006 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht dem früheren Besitzer oder seinen Erben gegenüber, wenn dieser die Sache verloren hat oder sie ihm sonstwie „abhanden gekommen" ist. Auch wenn dies der Fall sein kann, wäre dies kaum zu beweisen.

Frühere Besitzer waren häufig die Maler der Bilder. Besitz ist, juristisch formuliert, die tatsächliche, willensgetragene Sachherrschaft. Das heißt, wer willentlich und wirklich auf eine Sache zugreifen kann, ist ihr Besitzer. Deshalb waren regelmäßig die Maler Besitzer. Denn es ist anzunehmen, daß wer seinen Willen darauf konzentrieren kann, ein Bild zu malen, auch den Willen hat, das gemalte Bild zu haben.

In vielen Krankenanstalten mag dies allerdings auch anders gewesen sein. Denn es ist möglich, daß im Rahmen der Unterbringung die Patienten derart weisungsgebunden waren, daß sie ihre eigenen Dinge nicht selbst beherrschten, sondern den Besitz für die Anstalt ausübten. Nur die Anstalt wäre dann Besitzer gewesen. Die Patienten wären in diesem Falle sog. "Besitzdiener" nach § 855 BGB gewesen. So wird z. B. vielfach angenommen, daß Kinder keinen eigenen Besitz an ihren Spielsachen im Haushalt haben, sondern nur die Eltern; die Kinder seien Besitzdiener (Staudinger - Bund, § 855 BGB, Rn. 11; Erman - 0. Werner, § 855, Rn. 8).

Nur "Abhandenkommen" ist der Verlust des Besitzes ohne Willen des Besitzers. Es kommt nur dann in Betracht wenn die Maler nach dem Vorstehenden tatsächlich Besitzer waren. Nach den Unterlagen haben die Maler die Bilder meist freiwillig, zum Teil gerne weitergegeben.

Die Aussichtslosigkeit, einerseits die Besitzereigenschaft der Maler konkret zu beweisen und andererseits ein Abhandenkommen im einzelnen Falle nachzuweisen, liegt auf der Hand. § 1006 Abs. 1 Satz 2 BGB steht der Eigentumsvermutung für die psychiatrische Universitätsklinik Heidelberg deshalb nicht wirksam entgegen.

cc) Wenngleich kein Abhandenkommen beweisbar ist, ist es möglich, die gesetzliche Vermutung, daß der Träger der psychiatrischen Universitätsklinik Heidelberg Eigentümer ist, weil sie die Bilder hat, zu widerlegen. Voraussetzung ist, daß es sich nachweisen läßt, daß die psychiatrische Universitätsklinik Heidelberg (ihr Träger) kein Eigentum an den Bildern erworben hat.

Wie die folgende Erörterung zeigt, läßt sich heute noch eine solche andere Eigentumszuordnung nachvollziehen für den wahrscheinlichen Fall, daß die Patienten wegen Geisteskrankheit entmündigt waren, so daß insoweit durch die folgenden Ausführungen die gesetzliche Vermutung hinreichend widerlegt wird. Deshalb greift die Eigentumsvermutung des § 1006 Abs. 1 BGB im Ergebnis nicht.

b) Ursprüngliche Eigentümer


Die Bilder gehörten ursprünglich denjenigen, die sie gemalt haben.

Dies ergibt sich aus § 950 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches. Hiernach wird der Maler eines Bildes Eigentümer des Bildes, gleichgültig, wem Papier und Farben gehören.

Dies gilt, auch dann, wenn die Maler geisteskrank waren und deshalb regelmäßig keine Rechtsgeschäfte tätigen konnten:

aa) Anders als bei anderen Eigentumserwerben ist es für den Eigentumserwerb nach § 950 Abs. 1 BGB unerheblich, ob der Maler geschäftsunfähig ist.

bb) Bei den malenden Patienten wird es sich häufig um Geschäftsunfähige gehandelt haben. Das Gesetz sah zu diesem Zeitpunkt die Möglichkeit der Entmündigung wegen Geisteskrankheit vor (§ 105 Nr. 3 BGB alter Fassung). Es ist davon auszugehen, daß die damals in entsprechenden Kliniken untergebrachten Personen entmündigt waren. Geschäftsunfähige können gar keine rechtlich erheblichen Willenserklärungen abgeben, also auch in der Regel kein Eigentum erwerben. Dies gilt aber nicht für den Eigentumserwerb durch "Verarbeitung" nach § 950 GB . Anders als eine Übereignung etwa ist das Malen eines Bildes gerade kein Rechtsgeschäft, für das eine bestimmte Einsichtsfähigkeit gefordert wird, sondern eine tatsächliche Handlung, die auch ohne ein entsprechendes Bewußtsein den Eigentumserwerb bewirkt.

cc) Somit sind die Maler der Bilder sämtlich Eigentümer ihrer Bilder geworden.

c) Keine Übereignung durch die ursprünglichen Eigentümer


Eine Übereignung der Bilder durch die Patienten an die betreuenden Ärzte und Kliniken ist vor der Übersendung nach Heidelberg (1919 - 1921) nicht erfolgt.

aa) Ihr Eigentum haben die Künstler nicht dadurch verloren, daß sie der jeweiligen Klinik oder ihrem betreuenden Arzt die Bilder übereignet hätten. Wie schon dargelegt, waren die Künstler regelmäßig geschäftsunfähig.

Geschäftsunfähige können selbst gar keine Rechtsgeschäfte wirksam vornehmen (§ 105 Abs. 1 BGB), also auch keine Übereignung.

Im Zweifel ist die Geschäftsunfähigkeit / Entmündigung allerdings zu beweisen. Einen Anscheinsbeweis gibt es im persönlichen Bereich nicht. Das heißt, es kann nicht aus der Unterbringung auch in damaliger Zeit automatisch auf eine Entmündigung wegen Geisteskrankheit

geschlossen werden. Waren die Patienten aber geschäftsfähig oder ist die Geschäftsunfähigkeit nicht beweisbar, würde § 1006 BGB insoweit greifen, der Eigentumserwerb der psychiatrischen Universitätsklinik Heidelberg wäre zu vermuten.

bb) Ebensowenig ist ein Anhaltspunkt dafür ersichtlich, daß die Bilder geschäftsunfähiger Patienten im Rahmen des Arzt-Patienten-Verhältnisses mit Zustimmung des Vormunds übereignet worden sind.

Ausdrückliche Vereinbarungen zwischen den Kliniken und den Vormündern der Patienten sind nicht ersichtlich. Deshalb kommt lediglich eine stillschweigende Übereignung in Betracht.

Eine solche stillschweigende Übereignung setzte besondere Anhaltspunkte voraus, welche es nahelegten, daß Bilder, die von Kranken gemalt würden, im Einverständnis zwischen Vormund und Klinik dieser zur Verfügung gestellt werden sollten. Solche Anhaltspunkte sind nicht ersichtlich, denn eine Übereignung lag nicht im Interesse der Patienten und ihrer gesetzlichen Vertreter. Höchstwahrscheinlich hat sich niemand Oberhaupt über die Eigentumslage Gedanken gemacht. Eine Übereignung war deshalb nicht gewollt, sie war auch für die Betreuung der Kranken nicht notwendig. Selbst zu Diagnosezwecken, wäre eine Übereignung nicht erforderlich gewesen. Hierfür wurden die Bilder aber gar nicht genutzt. Sie dienten lediglich allgemein der Forschung und der Kunst.

Daher ist nicht anzunehmen, daß aufgrund eines Behandlungsvertrages oder des Verhältnisses zwischen Anstalt und Patient stillschweigend eine Übereigung gewollt war. Auch aus dem besonderen Verhältnis Patient/Arzt läßt sich nicht ein Eigentumsübergang auf die behandelnde Klinik herleiten.

cc) Hiernach wurde von Patientenseite das Eigentum nicht auf die Kliniken übertragen.

d) „Schenkungen" in den Jahren 1919 - 1921


Die „Schenkungen" der Kliniken an die Sammlung in Heidelberg bewirkten keinen Eigentumsübergang auf die psychiatrische Universitätsklinik Heidelberg.

aa) Da weder die behandelnden Ärzte noch die Anstalten, in denen die Kranken untergebracht waren, Eigentümer der Bilder entmündigter Patienten geworden waren (s.o.), konnten sie auch nicht als Eigentümer die Bilder an die psychiatrische Universitätsklinik Heidelberg „verschenken".

bb) Ein Eigentumserwerb durch diese Schenkungen käme allenfalls nach § 932 ff. BGB, sogenannter gutgläubiger Erwerb vom Nichtberechtigten, in Betracht.

Nach diesen Vorschriften kann ein Erwerber auch dann Eigentum erlangen, wenn er das Eigentum nicht vom Eigentümer oder einem Bevollmächtigten übertragen bekommt, wenn er bei dem Erwerb in gutem Glauben ist.

cc) Der gutgläubige Erwerb der Bilder durch die psychiatrische Universitätsklinik Heidelberg wird nicht durch den Vorrang des Geschäftsunfähigenschutzes nach § 105 BGB nicht ausgeschlossen.

Ein solcher Vorrang besteht, wenn ein Geschäftsunfähiger selbst übereignet. Dann ist die Obereignung nach § 105 Abs. 1 BGB nichtig und ein gutgläubiger Erwerb nicht möglich. Hier haben aber die Kliniken/Ärzte übereignet; diese konnten - anders als Geschäftsunfähige - grundsätzlich selbst ihr Eigentum übertragen. Ein möglicher guter Glaube des Erwerbers an die Verfügungsbefugnis der Kliniken (also an ihr Eigentum) ist deshalb durch § 932 ff. BGB geschätzt gewesen und konnte zu einem Eigentumserwerb führen.

dd) Somit kommt es darauf an, ob die psychiatrische Universitätsklinik Heidelberg gutgläubig war.
Ein Erwerber ist dann nicht im guten Glauben, wenn ihm bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt ist, daß die Sache nicht dem Veräußerer gehört (§ 932 Abs. 2 BGB).

Ein solcher guter Glaube lag bei Erwerb nicht vor. Sowohl der Leiter der psychiatrischen Universitätsklinik, Wilmans, als auch sein Assistent Prinzhorn wußten bei dem Erwerb, daß die übereignenden Kliniken Bilder ihrer geschäftsunfähigen Patienten übersandten. Sie konnten nicht davon ausgehen, daß diese die Bilder wirksam übereignet hätten. Sie hätten, selbst wenn sie die Kliniken für berechtigt gehalten hätten, ohne weiteres erkennen können, daß die Patienten selbst nicht wirksam Eigentum übertragen konnten. Auch damals galten schon die gleichen Gesetze wie heute. Danach hätte es sich ihnen aufdrängen müssen, daß geisteskranke Patienten nicht wirksam übereignen können, also auch die "schenkenden" Kliniken und Ärzte höchstwahrscheinlich nicht Eigentümer sein konnten. Es ging ja gerade um Kunst von Geisteskranken, die regelmäßig nach § 105 BGB geschäftsunfähig waren. Auf den damaligen Wert der Bilder kommt es insoweit nicht an.

Daß Wilmans und Prinzhorn dies erkannten, wird zusätzlich dadurch bestätigt, daß sie den Patienten gleichsam als "Bezahlung" kleinere Gegenstände und Geldbeträge zukommen ließen (vgl. Katalog Seiten 21ff.) die Bilder den Patienten also quasi "abkaufen" wollten.

ee) Der böse Glaube von Wilmans und Prinzhorn ist der psychiatrische Universitätsklinik Heidelberg selbst entsprechend § 166 Abs. 1 BGB zuzurechnen.

ff) Nach all dem kommt ein gutgläubiger Eigentumserwerb aufgrund der "Schenkungen" durch die übersendenden Kliniken nicht in Betracht.

e) Keine Ersitzung durch die psychiatrische Universitätsklinik Heidelberg bis 1933


Der bloße Zeitablauf führte ebenfalls nicht zu einem Eigentumserwerb. Eine Ersitzung' des Eigentums an den Bildern aufgrund des lange andauernden Besitzes der Klinik, in der Meinung Eigentümerin zu sein, hat nicht stattgefunden.

aa) Die Ersitzung ist in § 937 BGB geregelt. § 937 BGB verschafft demjenigen Eigentum, der eine bewegliche Sache 10 Jahre im Eigenbesitze hat (Abs. 1). Wer also eine Sache "als eigene" besitzt, wird nach 10 Jahren Eigentümer. Ausgeschlossen ist dieser Erwerb nach § 937 Abs. 2, wenn der Erwerber bei dem Erwerbe des Eigenbesitzes nicht in gutem Glauben ist oder wenn er später erfährt, daß ihm das Eigentum nicht zusteht.

bb) Das Gesetz unterscheidet also den Beginn der Ersitzung und die spätere Ersitzungszeit. Während der Ersitzungszeit schadet nur positive Kenntnis davon, daß die besessene Sache nicht die eigene ist. Zu Beginn des Besitzes, also zu dem Zeitpunkt, als die Universitätsklinik die Sachen erhalten hat, muß hingegen Gutgläubigkeit vorliegen, das heißt, bereits die grob fahrlässige Unkenntnis verhindert den Eigentumserwerb.

cc) Auch wenn die Klinik bzw. ihr Leiter sich für den Eigentümer der Bilder gehalten haben mag, konnte sie dies auch nicht durch Ersitzung werden, wenn sie dieses grob fahrlässig annahm.

Grobe Fahrlässigkeit bedeutet in diesem Zusammenhang, daß sich einem vernünftigen Erwerber es hätte aufdrängen müssen, daß er nicht Eigentümer sein könne. Einfache Fahrlässigkeit genügt nicht. Hierzu gelten die obigen Ausführungen (2. c cc) entsprechend. Die Frage, ob eine grobe Fahrlässigkeit vorliegt, die einen Eigentumserwerb verhindert, oder nur eine "einfache" Fahrlässigkeit, die einem Eigentumserwerb nicht entgegensteht, ist eine Wertungsfrage. Grobe Fahrlässigkeit heißt, es hätte sich aufdrängen müssen, einfache Fahrlässigkeit, man hätte erkennen können, daß Eigentum nicht erlangt worden war.

Alle Umstände, insbesondere die Tatsache, daß es sich um Kunst von Geisteskranken handelte, sprachen dafür, daß die Schenker nicht Eigentümer waren. Hieraus hätte sich der psychiatrischen Universitätsklinik Heidelberg (bzw. ihrem Vertreter) aufdrängen müssen, daß sie nicht Eigentümerin der Bilder geworden sein konnte. Nach der hier vertretenen Auffassung ist also die psychiatrische Universitätsklinik und ihr Rechtsträger (sei es das Land Baden-Württemberg oder die Universitätsklinik Heidelberg) auch nicht durch Ersitzung Eigentümerin geworden.

Gegen diese Auffassung spricht jedoch auch einiges, was zu einer anderen Einschätzung der Gutgläubigkeit führen könnte. Bei der Frage der Ersitzung nach § 937 sprechen zwei Aspekte auch gegen eine grobe Fahrlässigkeit: Zum einen, daß die Rechte Geisteskranker damals de facto häufig ignoriert wurden, zum anderen, daß die Eigentumslage von einer recht komplizierten rechtlichen Bewertung abhing (gutgläubiger Erwerb, s. o.).

Meines Erachtens greifen solche Bedenken allerdings nicht durch. Schließlich hatten Geisteskranke ebenso wie andere Geschäftsunfähige auch damals den Schutz des BGB. Außerdem kann mangelnde Gutgläubigkeit bei Annahme der Schenkung (s.o.) nicht im Rahmen der Ersitzung zu einer Gutgläubigkeit werden.

dd) Insofern liegt nach der hier vertrenen Ansicht keine wirksame Ersitzung vor.

f) Drittes Reich


Eine Enteignung während des Dritten Reichs fand nicht statt. Vielmehr verblieb die Ausstellung bei der psychiatrischen Universitätsklinik (s.o. 1.).

g) Nach 1945


Es wird unterstellt, daß die psychiatrische Universitätsklinik auch nach dem Krieg identisch blieb. Wäre sie neu gegründet, käme eine Ersitzung beginnend mit der Neugründung in Betracht. Dann wäre wohl auch Gutgläubigkeit anzunehmen.

h) Ersitzung nach Wechsel der Vertretungsorgane der psychiatrischen Universitätsklinik
Heidelberg


Da die Ersitzung nach § 937 BGB deswegen abgelehnt wurde, weil die Vertreter der psychiatrischen Universitätsklinik Heidelberg bei Erwerb bösgläubig waren, ist der Frage nachzugehen, ob deren Ausscheiden aus dem Amt die psychiatrische Universitätsklinik Heidelberg nunmehr gutgläubig gemacht hat mit der Folge, daß eine Ersitzung seit diesem Zeitpunkt möglich wäre.

In der Rechtsprechung und Literatur wird eine solche Frage, soweit ersichtlich, nicht erörtert.

Für den Besitz und die Frage der Gutgläubigkeit kommt es entsprechend § 166 Abs. 1 BGB auf die Kenntnis der zuständigen Vertreter an, hier auf den Leiter der psychiatrischen Universitätsklinik Heidelberg, Wilmans. Wann dieser aus seinem Amt ausgeschieden ist, ist unklar.

Bei einer Rechtsnachfolge einer natürlichen Person z. B. durch Erbschaft, ist es umstritten, ob diese gutgläubig sein kann, wenn der Erblasser bösgläubig war (für eine mögliche Gutgläubigkeit Wolff / Raiser, Sachenrecht, § 71 1 3a; Staudinger - Wiegand, § 943 BGB, Rn. 5; dagegen Erman - Hefermehl, 943 BGB, Rn. 2).

Im vorliegenden Fall geht es nicht um eine Rechtsnachfolge. Die juristische Person ist immer dieselbe geblieben. Bei juristischen Personen ist es anerkannt, daß sie sich die Kenntnis all ihrer Vertretungsorgane entsprechend § 166 Abs. 1 BGB zurechnen lassen müssen. Die Kenntnis eines Vertreters gilt als Kenntnis der juristischen Person. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gilt diese Zurechnung von Wissen auch dann weiter, wenn der Organvertreter aus dem Amt ausgeschieden ist und wenn er nichts von dem Rechtsgeschäft weiß, bei welchem es auf eine Kenntnis oder Unkenntnis von Tatsachen geht (BGH NJW 1990, S. 975; zuletzt bestätigt durch BGH NJW 1995, S. 2159, 2160). Dies muß auch für die Ersitzung gelten.

Deshalb gilt: Gleichgültig, welchen Zeitraum man betrachtet, bei Erwerb der Bilder war die psychiatrische Universitätsklinik Heidelberg bösgläubig, weil der Leiter und der geschäftsführende Assistent Prinzhorn zumindest grob fahrlässig nicht wußten, daß die psychiatrische Universitätsklinik Heidelberg nicht Eigentümer an den Bildern geschäftsunfähiger Kranker werden konnte (s.o.). Diese ursprüngliche Bösgläubigkeit verhinderte die Ersitzung von Eigentum nach § 937 BGB immer noch bis zum heutigen Tag. Denn die psychiatrische Universitätsklinik Heidelberg ist dieselbe geblieben. Die Bösgläubigkeit ihrer ausgeschiedenen und verstorbenen Vertreter wirkt bis heute fort. .

i) Die Erben der Maler als derzeitige Eigentümer


aa) Somit sind die jeweiligen Patienten Eigentümer ihrer Bilder geblieben. Nach ihrem Ableben treten an ihre Stelle die Erben und Erbeserben (§ 1922 BGB). Für jedes einzelne Bild müßte der Eigentümer gesondert festgestellt werden.

bb) Ist der Erbe nicht feststellbar, könnte eine Nachlaßpflegschaft nach § 1960 BGB bestellt werden. Eine solche Nachlaßpflegschaft brächte aber keine Vorteile. Sie führte lediglich dazu, daß die Gegenstände gesichert würden und nach dem Erben gesucht würde. Ließe sich der Erbe nicht finden, würde das Bundesland Erbe (Erbrecht des Fiskus, § 1964 BGB).

3. Ergebnis

Im Ergebnis bleibt festzuhalten:

Soweit die Maler nicht entmündigt waren, ist die gesetzliche Vermutung des Eigentums des Trägers der psychiatrischen Universitätsklinik Heidelberg kaum widerlegbar. Das Land Baden-Württemberg oder die Universität Heidelberg gilt als Eigentümer dieser Bilder.

Eigentümer der hier fraglichen Bilder sind die Erben und Erbeserben der Künstler. Sie können ihre Bilder aber nicht herausverlangen, soweit sich der jetzige Besitzer oder sein Rechtsnachfolger auf die Verjährung beruft (§§ 194, 195, 221 BGB).

3. Juli 1996

Dr. Peter Raue
Rechtsanwalt


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